Pressemitteilung der LGBT Intergroup des Europäischen Parlaments:
Schwedische Regierung hält an Zwangssterilisation für Transgender-Menschen fest
16. Januar 2012
Mitglieder der schwedischen Regierung gaben letzte Woche bekannt, die Regierungskoalition würde die gegenwärtige Voraussetzung der Sterilisation für Transgender-Menschen vor der staatlichen Anerkennung ihrer Geschlechtszugehörigkeit nicht aufheben. Mitglieder des Europäischen Parlaments fordern Schweden jedoch dazu auf, entsprechende Gesetzesänderungen voranzutreiben.
Im Augenblick verlangt Schweden von Transgender-Menschen, dass sie sich einer Sterilisation unterziehen, bevor ihre Geschlechtszugehörigkeit offiziell anerkannt wird. Der Menschenrechtskommissar des Europarats argumentierte, dies käme erniedrigender Behandlung gleich und bräche das Recht auf Menschenwürde und körperliche Unversehrtheit.
Andere europäische Staaten wie Deutschland, Österreich, Portugal, Spanien und das Vereinigte Königreich haben die staatlich erzwungene Sterilisation vor kurzem aufgehoben, und die Niederlande wollen dies Anfang 2012 ebenfalls tun. Schweden hatte vorher noch auf positive Menschenrechts- und Transgender-Politik in der Europäischen Union, im Europarat und bei den Vereinten Nationen gedrängt.
Raül Romeva i Rueda, Mitglied der Fraktion der Grünen im Europäischen Parlament, kommentierte: "Die Entscheidung der Regierung ist ziemlich überraschend: Quer übers politische Spektrum wird die Zwangssterilisierung von Transgender-Menschen als unmenschlich betrachtet. Sie ist barbarisch, veraltet und ausgesprochen unnötig - ganz zu schweigen davon, dass sie gegen die menschenrechtlichen Verpflichtungen Schwedens verstößt."
Sirpa Pietikäinen, finnisches Mitte-rechts-Mitglied des Europäischen Parlaments, fügte hinzu: "Ministerpräsident Reinfeldts Regierung sollte sich daran erinnern, dass die Würde und Unversehrtheit eines Menschen wichtige Eckpfeiler für Christdemokraten sind. Für Transgender-Menschen bedeutet dies die Freiheit, sich den gewünschten Veränderungen unterziehen zu können, nicht mehr und nicht weniger. Hier geht es nicht um LGBT-Rechte; es geht um Menschenrechte und Folter, um grausame, unmenschliche und erniedrigende Behandlung."
Deutsche Übersetzung von Sandra-Isabell Trautner mit Erlaubnis der Intergroup on LGBT Rights des Europäischen Parlaments. Maßgeblich ist stets der englische Text.
ich empfinde es als doppelten Missbrauch transsexueller Menschen, so zu tun, als hätte es in Schweden Gesetze, die verlangen, dass sich Drag-Queens oder Transvestiten sterilisieren lassen müssen. Dieses Gesetz gibt es nicht. Wenn man bedenkt dass in den 70er-Jahren Gesetze wie in Schweden, aber auch in Deutschland lediglich eingeführt werden konnten, weil Menschen schon einmal meinten, es ginge hier um Geschlechtsrollen (es wurden ja schon damals intersexuelle und transsexuelle Menschen unsichtbar gemacht, indem man sie für nicht-existent erklärte, weil ein paar Menschen meinten so etwas gibt es in der Natur nicht) haben solche Aktionen einen schalen Beigeschmack, da es auf mich den Anschein hat, als ginge es nicht um das, was vordergründig behauptet wird.
Gerade wenn man sich dafür einsetzt, dass Menschen mit geschlechtlichen Abweichungen anerkannt und als überhaupt existent erachtet werden, ist es wichtig hier darauf zu achten, dieses Anliegen nicht wieder einmal zu vergessen. Gesetze wie das Transsexuellengesetz (das ja starke Anleihen an Schwedens Regelungen besitzt) wurden letztlich genau deswegen eingeführt, um in der Natur abweichende geschlechtliche Variationen gesellschaftlich professionell ausblenden zu können - letztlich handelt es sich bei den Gesetzen ja um heteronormative Mann-Frau-Zuordnungsschablonen - und dieses Ausblenden hängt in direktem Zusammenhang mit gender-identity-Theorien, die dann von manchen "transgender" genannt wurden.
Daher ist es wichtig, klar zu machen, um was es überhaupt geht, wenn man eine Aktion macht. Und nachdem in der Pressemitteilung in keinster Weise von transsexuellen Menschen die Rede ist, die aber letztendlich diejenigen sind, die eigentlich betroffen sind von dem schwedischen Gesetz, hat das für mich einen schalen Beigeschmack. Ich nehme es Leuten, die transsexuelle Menschen als nicht-existent erachten nicht ab, dass sie sich für die Rechte ebendieser Menschen ehrlich einsetzen. Wer nicht sagen kann: "Du existierst", der hat in meinen Augen andere Interessen.
Übrigens: Ja, ich finde Aktionen gut, die sich dafür einsetzen, dass transsexuelle Menschen in Schweden nicht mehr zwangssterilisiert werden.
Zitat von Kim...so zu tun, als hätte es in Schweden Gesetze, die verlangen, dass sich Drag-Queens oder Transvestiten sterilisieren lassen müssen. Dieses Gesetz gibt es nicht.
Ich stimme zu. Ich finde "Transgender-Menschen" hier auch zu universell. Drag Queens, Transvestiten... zeig mir mal eine Drag Queen oder einen Transvestiten mit so großem Leidensdruck, dass eine Personenstandsänderung inkl. OP angestrebt wird. Das ist dann einfach keine Drag Queen und auch kein Transvestit... Trotzdem wurde der Begriff Transgender-Menschen verwendet; und ja, in diesem Fall hat die politische Korrektheit eine seltsame Blüte getrieben.
Zitat von KimIch nehme es Leuten, die transsexuelle Menschen als nicht-existent erachten nicht ab, dass sie sich für die Rechte ebendieser Menschen ehrlich einsetzen. Wer nicht sagen kann: "Du existierst", der hat in meinen Augen andere Interessen.
Drei Punkte: a) Die Kompetenzen der EU bezüglich Trans* nehmen immer weiter zu, wie man gut beobachten kann. Sie bemühen sich. Ich hab da Geduld, da ich sehe, dass es vorangeht. Du bist herzlich eingeladen, die EU tatkräftig zu unterstützen, davon können alle ja nur profitieren. b) Dezenter Hinweis auf Sirpa Pietikäinens letzten Satz in der Pressemitteilung, dass es hier um Menschenrechte per se geht und nicht primär um LGBT-Rechte. Das hat eine Tragweite, die ausführlicher besprochen werden sollte... c) Die Aktionen, die gegenwärtig gegen den schwedischen Entscheid laufen, gehen primär von Aktivisten aus (du kennst ja ganz sicher auch den gestrigen Brief von TGEU und ILGA). Also diese erkennen uns durchaus als existent an
Nach großem Druck durch die nationale und internationale Gemeinschaft wird Schweden die Voraussetzung der Zwangssterilisierung aufheben
Der Weg ist frei für die Aufhebung der vorausgesetzten Zwangssterilisierung im schwedischen Gesetz zur rechtlichen Anerkennung des Geschlechts. TGEU wurde darüber informiert, dass die rechts angesiedelte christlich-demokratische Partei in der schwedischen Koalitionsregierung ihre Position bezüglich einer Gesetzesreform geändert hat und nun die bisherige Voraussetzung der Sterilisierung aufheben will. In den letzten Wochen waren eine hitzige Debatte und ein internationaler Proteststurm über Schweden hereingebrochen. Dennoch hatten die Christdemokraten weiterhin jede Diskussion über die Aufhebung dieser Voraussetzung für Transmenschen, damit diese ihre Ausweisdokumente ändern lassen können, blockiert.
RFSL, die nationale Föderation für die Rechte von Lesben, Schwulen, Bisexuellen und Transmenschen, hat gemeinsam mit der schwedischen Transbewegung über Jahre hinweg Druck ausgeübt, um die Sterilisationsvoraussetzung, welche bis zum heutigen Tag das Recht auf körperliche Unversehrtheit für Transmenschen verletzt, aufzuheben. Über 70.000 Unterschriften aus aller Welt sprachen sich in den letzten Wochen gegen die Sterilisationsklausel aus. Für viele Menschen auf dem ganzen Planeten war es ein Schock zu erfahren, dass Transmenschen die einzige Gruppe in der Gesellschaft zu sein scheinen, von denen das Gesetz verlangt, auf ihre körperliche Unversehrtheit zu verzichten.
„Schweden kann einmal mehr den Sieg der Demokratie verkünden. Es hat lange gedauert, aber die bevorzugte Strategie, die Debatte und die Bildung von Allianzen haben letztlich gesiegt. Nun ist schnelles Handeln vonnöten, um diesen mittelalterlichen Passus aus dem Gesetz zu streichen. Die Reform darf hier jedoch nicht aufhören. Auf der Grundlage dessen, was Transmenschen in Schweden wollen und brauchen, muss die Regierung nun Schritte unternehmen. Die Lebenssituation dieser stark marginalisierten Gruppe zu verbessern ist längst überfällig”, sagt die Co-Vorsitzende der TGEU, Maria Sundin.
„Schweden war 1972 das erste demokratische Land Europas mit einem Gesetz zur rechtlichen Anerkennung des Geschlechts. Möge dies der Beginn einer neuen Glasnost-Ära für den Kontinent sein. Die übrigen 28 europäischen Staaten, in denen die Sterilität noch immer eine Voraussetzung ist, müssen dem folgen“, so Julia Ehrt, Geschäftsführerin von TGEU.
ENDE
Kontakt: TGEU-Sekretärin Maria Sundin steht für Fragen und Interviews unter der Adresse ary@tgeu.org">secretary@tgeu.org zur Verfügung. http://www.tgeu.org