ein Interview in den heutigen Nürnberger Nachrichten (Seite 10) durch Silke Roennefahrt mit Professor Heckmann begeistert mich: ------------------------------------------ "Wissen hilft weiter" Professor Heckmann über den Umgang mit Vorurteilen Woher kommen eigentlich Vorurteile? Werden sie uns quasi in die Wiege gelegt? Professor Friedrich Heckmann, Leiter des europäischen Forums für Migrationsstudien an der Universität Bamberg, hat Antworten aus der Forschung.
- Herr Prof. Heckmann, liegt der Wunsch nach Abgrenzung in der menschlichen Natur? Friedrich Heckmann:Man wird nicht mit Vorurteilen geboren, sie werden erlernt und von anderen übernommen. Doch aus der Forschung weiß man, dass das bereits sehr früh beginnt, schon Kleinkinder übernehmen die Bewertungen anderer. Das ist die individuelle Ebene. Gesamtgesellschaftlich betrachtet, hängen Vorurteile mit der sozialen Natur des Menschen zusammen. Menschen leben in Gruppen, und Gruppen grenzen sich voneinander ab. Dazu gehört, dass man sich negative und falsche Bilder von den anderen macht. Gruppen haben Konflikte. Vorurteile sind dabei häufig ein Instrument der Herrschaft und rechtfertigen Ungleichheit. Das ist ein universelles Phänomen, nur dessen Ausprägungen sich unterschiedlich.
- Also hat quasi jede Zeit ihre eigenen Vorurteile? Heckmann: In gewisser Weise ja. Oft speisen sie sich aus gesellschaftlichen Ideologien wie zum Beispiel aus dem Antisemitismus oder der Islamophobie. In Büchern, Filmen, Redewendungen und Bildern werden solche ideologischen Vorstellungen oder Elemente davon transportiert. Aktuelle Auseinandersetzungen spiegeln sich darin wider, das kann man gut bei der Debatte über die griechischen Schulden beobachten. Da wird dann in bestimmten Kampagnen eine ganze Nation als "faul" verunglimpft.
- Trotzdem sind nicht alle Menschen gleichermaßen empfänglich für Klischeees. Liegt das vor allem an der Erziehung? Heckmann: Schule und Elternhaus sind da natürlich wichtig. Wenn man in einem toleranten aufgeklärten Umfeld aufwächst, ist Schubladendenken nicht so ausgeprägt. Außerdem spielen psychische Merkmale eine Rolle. Menschen, die ängstlich und unsicher sind, sind besonders anfällig für Stereotypen. Auch wer zu autoritären starren Denkmustern neigt, hält gerne an seinen Feindbildern fest.
- Was können denn Aufklärungskampagnen überhaupt bewirken? Heckmann: Eine ganze Menge! Wissen hilft auf jeden Fall, obwohl leider diejenigen am empfänglichsten dafür sind, die ohnehin am wenigsten mit Vorurteilen belastet sind. Viel kann man auch erreichen, wenn man die emotionale Seite von Vorurteilen anspricht, indem etwa über Filme, Kunst und Kultur positive Gefühle über zuvor abgelehnte Gruppen vermittelt werden. Und ganz wichtig sind persönliche Kontakte, denn wenn Menschen sich kennenlernen und die individuelle Wahrnehmung einsetzt, lösen sich viele stereotype Vorstellungen auf.
- Also weist "Nürnberg hält zusammen" in die richtige Richtung? Heckmann: Die Stadt ist da auf einem guten Weg. Einerseits durch Programme, die Aufklärung, Wissen, internationale Kultur und Begegnungen vermitteln. Zum anderen aber auch, weil es hier gelingt, ein positives öffentliches Klima zu schaffen, in dem sich rechtsradikales Potenzial kaum mobilisiern lässt. ------------------------------------------------------------- Die Überschrift und Aussagen, die mir besonders wichtig waren, sind markiert. Liebe Grüße Andrea
P.S. Vorurteilsforschung interessiert mich schon länger. (z.B. "Sir Peter Ustinov Institut" http://www.wien.gv.at/rk/msg/2003/0624/017.html ) Durch aktuelle Entwickungen rückt dieser Teil der Forschung nun häufiger in unser Blickfeld.
FÜR: Menschenrechte, eine gelebte demokratische Zivilgesellschaft, die Minderheiten schützt ERGO: Umfassende Bildung für alle, effektive Regeln in Alltag und Netz, eine gut ausgestattete Polizei/Justiz
Zitat Und ganz wichtig sind persönliche Kontakte, denn wenn Menschen sich kennenlernen und die individuelle Wahrnehmung einsetzt, lösen sich viele stereotype Vorstellungen auf.
Absolut! Darauf basiert auch unser Schulprojekt: "Durch den persönlichen Kontakt feststellen, dass das ja auch alles nur normale Menschen sind..." Und das funktioniert super! Zumindest gemessen anhand der Rückmeldungen. Soweit ich weiß ist der Süden (BY und BW) da noch sehr unbefleckt.. Ich weiß im Augenblick nur von FLUSS in Freiburg, anscheinend gibt es in BW aber mittlerweile auch noch mehr Ansätze.
Liebe Grüße, Laura
Jag har aldrig glömt vem jag var, jag har bara låtit det sova. Kanske hade jag inget val, bara viljan att finnas kvar.
für Bayern würde ich das nicht zu eng sehen "Durch den persönlichen Kontakt feststellen, dass das ja auch alles nur normale Menschen sind..." Das passiert bei uns bzgl. TS/IS/ Homosexualität usw.auch, nur die Strategie ist anders. (halt nicht organisiert) Auch Mitschüler oder Lehrkräfte, die zufällig selbst TS/IS/homosexuell... sind, und zudem offen auftreten, tragen zur Normalität bei. Bevor ich ans ursprüngliche Gymnasium zurückkehrte, unterrichtete ich an zwei anderen Gymnasien. + Durch diverse Zusatzaufgaben, bin ich weiter an anderen Schulen sichtbar und ansprechbar. *) In Kita, Grund- und Hauptschule läuft es ähnlich. Da ich die Bedingungen in Bayern durch die Berufsvertretung kenne, halte ich bei uns hier(!) die Methode auf Kollegen, Schüler und Fortbildungen zu setzen, für effektiver als Projekte.
Liebe Grüße Andrea
*) Positive Rückmeldungen sind bei mir - innerhalb der Schule und von Ehemaligen außerhalb - sehr häufig.
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Nochmal zum Thema Vorurteile. --> Die Nürnberger Nachrichten druckten heute ein weiteres Interview. Schwerpunkt diesmal "Medien" bzw. "Muslime" ___________________________________________________ Feindbild wird geschürt Expertin: Medien befördern Entstehung von Stereotypen - Sabine Schiffer weiß, wieso "der Islam" in Deutschland Ablehnung oder gar Furcht hervorruft. Die Leiterin des Erlanger Instituts für Medienverantwortung (IMV) erklärt, wie Vorurteile entstehen und medial befördert werden.
Frau Schiffer, Vorurteile sind ja eher etwas Irrationales. Angesichts von realem Terror,Gewalt und Frauenunterdrückung: Kann man Angst und Ablehnung im Fall des Islam als Vorurteil abtun? Sabine Schiffer: Muslime sind keine Engel. Es gibt unter ihnen ebenso schlechte Menschen wie auch anderswo. Aber Frauenunterdrückung, Gewalt-Affinität oder Terrorismus sind keine exklusive Domäne der Islamischen Welt. Wenn sie in Europa leben, müssten sie angesichts der Opferzahlen etwa eher Angst vor der Eta haben als vor islamistischem Terror. Was Kriege und Konflikte angeht, die der muslimischen Welt oft angekreidet werden: In Europa oder Amerika stehen keine muslimischen Truppen. Unsere Soldaten stehen in islamischen Ländern. Das darf man nicht vergessen.
Aber die Unterdrückung der Frauen lässt sich ja nicht wegdiskutieren. Das muss man doch kritisieren dürfen? Schiffer: Das ist für mich ein typischer Entlastungsdiskurs. So als ob es bei uns keine häusliche Gewalt, mangelnde Chancengleichheit oder Lohn-Ungerechtigkeiten gäbe, konzentrieren wir uns auf Muslime nach dem Motto: "Die haben ihre Hausaufgaben nicht gemacht." Die Frau mit Kopftuch ist eine gute Projektionsfläche dafür. Und schon müssen wir uns mit eigenen Defiziten nicht mehr beschäftigen. Frauenmorde in Lateinamerika beispielsweise interessieren uns dann weniger. Das Problem wird einer einzelnen Gruppe zugeordnet. So auch beim Thema weibliche Genitalverstümmlung. Eine schreckliche Praxis, die in einigen Regionen Afrikas leider praktiziert wird - und zwar von Animisten und Christen ebenso wie von Muslimen. Trotzdem gilt es weithin als islamisches Problem.
Wir suchen quasi vorsätzlich Gründe um Muslimen etwas vorzuwerfen? Wieso sollte man das denn tun? Schiffer: Sogenannte Frames, also Wahrnehmungsschablonen in den Köpfen sorgen dafür, dass wir nur bestimmte Dinge für wichtig erachten und wahrnehmen. Die Entstehung von Frames hängt in erster Linie mit den Medien zusammen, die ab den Neunziger Jahren, vor allem nach dem 11.September vermeintlich Islamisches stark in den Vordergrund gerückt haben. Zudem gibt es eine deutliche Schieflage beim Präsentieren negativer Ereignisse und Fakten...
... wie bitte? Schiffer: Nach den Anschlägen in Paris gab es zahllose antimuslimische Übergriffe - von Beschimpfungen bis hin zu Brandanschlägen auf Moscheen. In Kaiserslautern wurde eine Frau mit Kopftuch bewusstlos geschlagen und mit Alkohol übergossen. Die mediale Resonanz war aber alles andere als groß.
Schüren die Medien ihrer Meinung nach also bewusst Vorurteile? Schiffer: Nein, ein Großteil der Frames sind schlicht Fehler, die fortgeschrieben werden. Was macht ein Journalist als Erstes beim Thema Islam? Er sieht im Archiv nach und orientiert sich an dem, was bereits geschrieben wurde. Bewusst geschürt werden Vorurteile aber von einigen Think Tanks und ähnlichen Einrichtungen, die die Medien als Vehikel instrumentalisieren. Da fließen nachweislich viele Millionen Dollar, um die öffentliche Meinung zu Islam und Muslimen negativ zu beeinflussen.
Und der Grund? Schiffer: Es geht um geostrategische Interessen in Ländern der sogenannten islamischen Welt.
Auch wenn Stimmungsmache im Spiel ist: Die Muslime selbst tun ja nicht gerade viel, um ihr mieses Image zu verbessern. Etwa indem sie Vorurteile widerlegen oder sich vom Terror distanzieren. Schiffer: Das tun sie sehr wohl, nur findet es kaum Aufmerksamkeit. Aber das hilft in diesem Zusammenhang ohnehin nicht. Wenn der Beschuldigte schweigt, gilt das als Schuldeingeständnis. Je heftiger er sich gegen die Vorwürfe wehrt, umso mehr heißt es: "da muss was dran sein". Das ist wie beim Hexentest im Mittelalter.
Also kann man gar nix tun gegen Islamophobie und Stereotype? Schiffer: Doch. Aber hier gilt: Das Gegenteil von gut ist gut gemeint. Wenn wir uns beispielsweise in einigen Jahren über kulturelle Eigenarten von Chinesen echauffieren, die jetzt schon alle in China praktiziert werden, dann sollten wir nicht beginnen, Sinologie zu studieren, um die Vielfalt der chinesischen Kultur kennenzulernen und gegenzuhalten...
...sondern? Schiffer: Man sollte sich als Erstes immer fragen, warum diese Gruppe auf einmal besondere Aufmerksamkeit erfährt und über geopolitische Zusammenhänge Bescheid wissen. Am wichtigsten aber ist es zu wissen, wie Medien funktionieren, wie sie unsere Wahrnehmung und unser Denken beeinflussen. Leider leisten ausgerechnet wir als demokratisches entwickeltes Land uns, die Medienbildung in der Schule zu vernachlässigen. ___________________________________________________________________________
Liebe Grüße, (Überschrift und Teile, die ich für besonders wichtig halte, sind markiert) Andrea
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